Das Praxistelefon klingelt und ich habe grade eine Freistunde und genügend Neugier, um außerhalb meiner Telefonsprechstunde an den Apparat zu gehen. Ich nehme ab und sage meinen Namen. Eine leicht überdrehte, ansonsten aber in der Tonlage angenehme, im Tempo aber deutlich zu schnelle Stimme einer jungen Frau kommt mir entgegen: Guten Tag, hier ist (sie sagt ihren Namen, aber merken konnte ich mir den nicht) von der Deutschen Telekom, Geschäftskundenbereich, spreche ich mit dem Anschlußinhaber? Den Fragetypus kenne ich, das nennt man auf Deutsch „yes set“. Das heißt so viel wie: bringe dein Gegenüber mindestens einmal dazu, ja zusagen, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass er auch zu folgenden Fragen und Angeboten ja sagt.
Zwar bin ich kein ausgefuchster Bißnißmensch, aber auf jeden Bauernfängertrick fall ich auch nicht herein, also antworte ich mit Worum geht’s denn? (das nennt man eine implizite Beantwortung der Ausgangsfrage mit gleichzeitiger Markierung des kommunikativen Terrains, letzteres  ähnlich wie bei Hunden …). Ja, zwitschert mein Gegenüber in der Leitung los wie eine freudig erregte Blaumeise, der für Ihr Gebiet zuständige Kundenberater ist gerade in der Gegend und wollte mal bei Ihnen vorbeischauen, da wollte ich einen Termin mit Ihnen vereinbaren. Na, denk‘ ich bei mir, wenn das kein Grund zur Freude ist, mein Kundenberater ist in der Gegend und will mir seine Aufwartung machen! Diese geheuchelte Euphorie aber meines Gegenübers kenne ich schon. Das meine ich garnicht kritisch oder abwertend. Die Frau heuchelt sich selbst eine Begeisterung für ihr Tun vor, weil sie ansonsten die von ihr geforderte Anrufquote in ihrer Anrufzentrale – Verzeihungin ihrem Callcenter nicht schaffen könnte. Und schließlich braucht sie Geld für Essen, Wohnung, Kleidung, Fahrkarte …

Ohne mit der Wimper zu zucken antworte ich Termine gibt’s bei mir nur für Patienten (wo käme ich hin, wenn ich auch noch alle fliegenden Händler, die grad in der Gegend sind,  zu mir einlade, ich will meine Ruhe haben!). Ja, dann sag ich trotzdem Dankeschön, zwitschert die Blaumeise und schon ist unser Gespräch beendet. Ich lasse die Klarheit meines Ausdrucks in mir nachklingen und bins zufrieden. Schöne Neue Welt kommt mir in den Sinn. Ich sollte mal wieder Huxley lesen.

 

Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay

Ein Gedanke zu “Mein (un)poetischer Alltag – der Geschäftskundenberater möchte mal vorbeischauen

  1. Die Fröhlichkeit macht sich die Blaumeisenfrau nicht selbst vor, sie bemüht sich nur um das berühmte „Lächeln durch’s Telefon“, eine weitere Disziplin im Callcenter.

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