Es gibt in der jüngeren Vergangenheit zum Glück auch in der Philosophie Ansätze, die sich mit der Wiederverbindung des Menschen mit der Natur beschäftigen.
Zu den bedeutendsten Vertretern dieses neuen (alten?) „fühlenden Denkens“ (oder „denkenden Fühlens“?) gehört zweifellos der US-amerikanische Anthropologe und Philosoph David Abram.
Das wie immer von meinem Kollegen Hans Neidhardt kunstvoll kalligrafisch gestaltete Kalenderblatt des Monats Juli mit dem Zitat von David Abram, gibt mir die Gelegenheit, eine kleine Rahmung des Zitats und einen ersten kleinen Versuch zu unternehmen, seine Gedanken einzuordnen.
Ein Phänomen direkt wahrzunehmen bedeutet, zu ihm in Beziehung zu treten und die lebendige Interaktion mit einem anderen Wesen zu fühlen.
David Abram

Mit „einem anderen Wesen“ sind nicht lediglich Menschen gemeint. Die neue, auf der Phänomenologie aufbauende Denkweise meint alle Wesen. Ein Gedanke, der uns bereits im Buddhismus begegnet, aber über ihn hinausreicht, weil er auch Bäume, das Wasser, alles was lebt, meint.
Nunja, könnte man sagen, ist doch eigentlich klar. Wie aber ist dann die Trennung von Mensch und Natur in unser Denken und Handeln gekommen? Auch im Begriff „Um-Welt“ begegnet uns dieses Denken. Unreflektiert, gewiss, aber diese Trennung – hier der Mensch, da die Natur – findet sich in allen Aspekten unseres Denkens und unserer Haltungen, als wäre es eingewoben und untrennbar mit ihm verbunden.
Wie aber ist dieses Denken in unsere Köpfe gekommen? Wer hat damit angefangen? Wo findet sich dieses Denken das erste Mal? David Abram gibt in seinem Buch „Im Bann der sinnlichen Natur“ die Antwort auf die Frage, die Hans Neidhardt in den Anmerkungen zu seinen Kalenderblättern stellt: wie ist uns die den Naturvölkern so selbstverständliche Naturverbundenheit abhanden gekommen?
Wir können Dinge nur deshalb erfahren, können sie berühren, hören und schmecken, weil wir als Körper selbst in das sinnlich erfahrbare Feld eingebunden sind, selbst eine eigene Oberfläche haben, eigene Laute hervorbringen und selbst nach etwas schmecken.
David Abram
Trennung und Wiederverbindung
Abram zeigt auf, dass das Denken in Trennung vor ungefähr 2500 Jahren bei Platon das erste Mal auftaucht. Im Phaidros zitiert dieser seinen Lehrer Sokrates mit den Worten „Felder und Bäume wollen mich nichts lehren, wohl aber die Menschen in der Stadt“. Dieser scheinbar unscheinbare Satz enthält eine Revolution – das Denken, die Selbstauffassung des Menschen bewegt sich weg von der Sprache der unsichtbaren Kräfte, die allem innewohnen; weg von derjenigen der Vögel, der Bäume und dem Rauschen des Meeres. Sie wird eine diskursive, eine Unterscheidungssprache, eine Sprache, die ein Denken in Trennung formt. Ein Denken, das uns die Natur als Objekt erscheinen lässt, uns gegenübergestellt, als unbeseeltes „Anderes“. Natur als Objekt, das uns letztlich als seelenloses Ausbeutungsding zur Verfügung steht.
In der jahreszeitlich wechselnden Luft des Feldweges gedeiht die wissende Heiterkeit.
Martin Heidegger

Etwa 2500 Jahre nach Platon rehabilitiert Heidegger die Felder, die Bäume, den Feldweg, und den Menschen, der sich fühlend in seiner Welt bewegt. Die kleine Schrift, 1953 erschienen, mit der er das tut, heißt schlicht „Der Feldweg“. Das Wissende ist nun nicht mehr bei den Menschen, die sich in klugen, aus dem städtischen Leben geborenen und von der Natur abgetrennten Gedanken ergehen. Das Wissen kommt dem Menschen zu, der in der Natur geht und sie in ihrem jahreszeitlichen Wandel immer gleich und stets neu erfährt. Dies ist gewissermaßen eine „radikale Poesie“, ein Begriff, den auch Andreas Weber in seinem Buch „Indigenialität“ verwendet. Die Gefahr aber, so Heidegger, droht, dass die Heutigen schwerhörig für die Sprache des Feldweges werden. Ihnen falle nur noch der Lärm der Apparate, die sie fast für die Stimme Gottes halten, in die Ohren.
Die radikale Poesie der Wiederverbindung, die wir bei David Abram, bei Heidegger und auch bei Andreas Weber (https://radikale-poesie.com/2024/07/16/schenke-leben-die-tugenden-der-indigenen-volker/#more-5201) finden, scheint mir ein vielversprechendes Programm zu mehr Sinn und Wohlbefinden zu sein.
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Kalligrafie: Hans Neidhardt
Worte: Lothar Eder
Foto Feldweg: G.C. auf Pixabay