Frieden bedeutet nicht nur Abwesenheit von Krieg.
Wir müssen Frieden Führen.
So wachsam wie wir Krieg führen
XIV. Dalai Lama
Kriegstüchtig? – Friedenstüchtig!
Seit vielen Wochen geistert der Begiff von der „Kriegstüchtigkeit“ durch die deutsche Öffentlichkeit. Regierungsmitglieder fordern, das Land müsse „kriegstüchtig“ werden.
Es ist verwunderlich, dass dieser Begriff von weiten Teilen der Öffentlichkeit und der Medien unwidersprochen bleibt. Ganz offensichtlich handelt es sich bei dem Wort um einen Begriff, den die nationalen Sozialisten, z.B. Heinrich Goebbels, zu Beginn der Hochphase des 2. Weltkrieges verwendete. Verwunderlich ist dies zum einen, weil in der Gesellschaftt ansonsten fast eine Art Hypersensibilität gegenüber Begriffen herrscht, die die nationalen Sozialisten verwendet oder gar geprägt haben.
Erstaunlich ist es zum zweiten, weil eben jene Teile der Gesellschaft, die vor 50 Jahren ökologisch und pazifistisch eingestellt waren, nunmehr für mehr „Kriegstüchtigkeit“ plädieren.

Eines ist sicher: Krieg führt zu Krieg. Kriegerische Haltung im Kopf und im Herzen erhöht die Konfliktwahrscheinlichkeit.
Daraus folgt, dass wir eben keine „Kriegs-„, sondern eine „Friedenstüchtigkeit“ brauchen. Denn nur im Frieden können Menschen gedeihen, können sie ruhig und sicher leben.
Von friedlichen Gesellschaften lernen
Wir wissen aus vielen Quellen (z.B. der Saharasia-These von James de Meo zit. nach Bernd Senf 2003), dass die jungsteinzeitlichen Kulturen bis vor ca. 6000 Jahren friedlich waren. Sichtbar ist dies z.B. anhand der Höhlenmalereien, in denen harmonische, mütterliche und lebenspflegende Abbildungen dominieren. Später finden sich Darstellungen von Gewalt, von Tod, Zerstörung und Zerstückelung. De Meo führt dies auf die damaligen klimatischen Veränderungen zurück, die schwere Hungerkatastrophen nach sich zogen. Nun überlebte, wer stärker war, wer kämpfte, besiegte und erorberte. Dies, so bezeugen viele Studien, sei auch die Geburt der männlichen Dominanz über die Frau und damit der Beginn der patriarchalen Gesellschaften gewesen.
Diese ursprünglichen Gesellschaften hatten um die Welt bei aller Unterschiedlichkeit eines gemeinsam: sie waren matriarchal bzw. „matristisch“, sie respektierten alles Leben, sie pflegten Mütterlichkeit in einem allgemeinen SInn und sie waren friedfertig (vgl. Heide Göttner-Abendroth). Diese Gesellschaften ehrten das Lebendige, sie befriedigten die Bindungsbedürfnisse ihrer Kinder, sie schufen keinen „Mehrwert“ sondern betrieben Subsistenzwirtschaft und sie hatten Strategien von Konfliktlösung, die auf Ausgleich statt Strafe aus waren.

Aber ist das nicht nur eine Utopie, ein Traum, eine romantische Vorstellung, eine spinnerte Vorstellung von Menschen, die die Realität und die „Härte des Lebens, wie es nunmal ist“ nicht anerkennen wollen?
Ich meine: nein. Wir haben zeitgenössische Augenzeugenberichte von solchen Gesellschaften, die zumindest bis zurück in die 1980er Jahre reichen; da ist der eindrückliche Bericht von Jean Liedloff über die Yequana in Venezuela. Und da ist der Film Abschied vom Lachen über die Campa, einem matristischen indigenen Stamm im Amazonasgebiet.
Es hat sie also gegeben, die friedlichen menschlichen Gesellschaften und manche von ihnen existieren immer noch, wie die Khasi in Nordindien, die von der Regierung einen Autonomiestatus erhalten haben.
unsere tiefe SehnsuchT nach Frieden
Und selbst wenn es „nur“ eine Utopie wäre, eine romantische Vorstellung – ich bin überzeugt, dass Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Frieden und Sicherheit haben. Dass wir Menschen im Grunde kooperative, freundliche und dem Leben zugewandte Wesen sind. Dass wir erst durch Traumatisierung, Manipulation und Propaganda dazu gebracht werden, „kriegstüchtig“ werden zu wollen.
Und ich bin überzeugt, dass es uns gelingen kann, die „Friedenstüchtigkeit“ in uns zu wecken, zu pflegen und weiterzutragen. Durch Bewußtwerden, Auflösung unserer Panzerungen, Traumata und Kontraktionen und durch den Kontakt mit der Natur – nicht mit der Natur als „Um-Welt“, sondern als bewusste Kinder von Mutter Erde.
Autor: Lothar Eder
Quellen: Bernd Senf (2003), Die Wiederentdeckung des Lebendigen.
Heide Göttner-Abendroth (1988), Das Matriarchat I. Geschichte seiner Erforschung
Jean Liedloff (1980), Auf der Suche nach dem verlorenen Glück: gegen die Zerstörung unserer
Glücksfähigkeit in der frühen Kindheit
Gordian Troeller (1981), Abschied vom Lachen (Film)
Humberto Maturana und Gerda Verden-Zöller (1993), Liebe und Spiel; Die vergessenen Grundlagen
des Menschseins
Bilder: freies Material auf Pixabay
Kalligrafie: Hans Neidhardt