Tatsachen lassen sich nicht wegleugnen. Dadurch, dass man zu ihnen steht, verschlimmern sie sich nicht. Dadurch, dass man sie verschweigt, verschwinden sie nicht. Und weil sie wahr sind, müssen wir uns damit beschäftigen.
Was nicht wahr ist, kann auch nicht gelebt werden. Und Menschen können Wahrheiten ins Auge blicken, weil sie bereits damit leben.
EUGENE GENDLIN
Wer Orte der Stille aufsucht, hat oft auch kein WLAN. Diesem Umstand ist das Kalenderblatt der Radikalen Poesie im Mai zum Opfer gefallen. Deshalb kommt die Kaligrafie von Hans Neidhardt mit dem Zitat von Eugene Gendlin mit etwas Verspätung.
Eugene Gendlin war ein US-amerikanischer Philosoph und Psychotherapeut. Geboren als Eugen Gendelin in Wien floh er als Kind mit seinen jüdischen Eltern vor den Nationalsozialisten in die USA. Gendlin ist Begründer des Focusing, einer körperpsychotherapeutischen Methode. Zentraler Begriff des Focusing ist der Felt Sense, den man als Spürbewußtsein übersetzen kann. Das Spürbewußtsein ist das Körpergefühl, das wir zu einer Situation oder einer Vorstellung haben. Der Felt Sense verkörpert unsere eigentliche Wahrheit bezüglich der Frage, wie es mir gerade geht – mit mir, mit der Situation, mit einer Vorstellung etc. Focusing als Methode hilft uns, dem Inhalt eines Spürbewußtseins in einem Augenblick nahezukommen. Der Weg dort hin geschieht über Achtsamkeit. Bilder und Empfindungen, die auftauchen, werden auf den Be-Griff gebracht (nach Kant ist die Anschauung ohne Begriffe „blind“). Mithilfe des auf den Begriff gebrachten Spürbewußtseins können wir uns selbst, unsere Reaktionen auf eine Situation oder einen anderen Menschen besser verstehen. Dadurch wird unmittelbar erfahrbar, was in uns gerade gelebt werden will.