Meine aktuelle Auszeit auf der Kanareninsel La Palma (die morgen leider zu Ende geht) erlaubt mir einen Tagesablauf jenseits aller Pflichten. Dazu gehört auch eine ausgedehnte Morgenlektüre. Derzeit zählt Tiziano Terzanis Buch „Noch eine Runde auf dem Karussell – Vom Leben und Sterben“ dazu. Es ist ein wundervolles Buch eines typischen westlichen Intellektuellen der 68er Generation, der vom politischen Kämpfer (er war ein renommierter Journalist u.a. für den SPIEGEL) zum Wahrheitssucher im Inneren wurde. Ein Freund hat es mir vor Jahren überlassen mit den Worten „das solltest du lesen“. Ich habe damals abgewunken mit den Worten „solch dicke Bücher lese ich nicht“, das Buch aber angenommen (womit, nebenbei, einiges über meine inneren Widersprüchlichkeiten gesagt ist).

Nun, nach Jahren und nachdem ich mir mit Entzücken den biografischen Film „Das Ende ist mein Anfang“ (mit Bruno Ganz in der Rolle des Terzani) angesehen habe, lese ich nun dieses „dicke Buch“ mit erheblichem inneren Gewinn. Es ist im meinem Verständnis eine wunderbare Einladung zum „gedehnten Blick“.

Heute morgen bin ich auf eine Stelle gestoßen, in der Terzani von einer Zeit erzählt, in der er in einem Haus hoch oben im Himalaya lebt, mit nur einem Nachbarn, einem alten weisen Mann, und die lautet: „Der Alte sprach stets sehr langsam, machte lange Pausen, wie um seinen Worten Zeit zu geben, mehr als nur meine Ohren zu erreichen“ (S. 678 der TB-Ausgabe).

Ich habe mich gefragt, warum mir diese Stelle so gut gefällt.
Zum einen ist es sicherlich, daß der Satz mich so wohltuend daran erinnert, daß es die  Möglichkeit des Schweigens und der Stille jenseits all des Lärms und Dauergeplappers in unserer Zeit gibt. Der Satz kann eine Erinnerung sein, eine Mahnung, innezuhalten und – zumindest ab und zu – still zu sein (was ich persönlich nicht nur wohltuend, sondern äußerst gesund finde). Zum anderen denke ich dabei an meine therapeutische Arbeit: Sätze sprechen, zuhören, den Patienten ermuntern, seinen eigenen Sätzen Raum zu geben, eine innere Resonanz entstehen zu lassen, und auf diese Weise dem eigenen Inneren auf die Spur zu kommen.

 

Fotografie: SEESTÜCK (Garafia) © Lothar Eder 2018

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