RTL regional hat mich vor ein paar Tagen um ein Interview zum Thema „Langeweile“ gebeten, das demnächst auf einer Internetseite erscheinen soll. Die zuständige Redakteurin hat aus meinen ausführlichen Antworten leider nur zwei Sätze genommen (ich hoffe, es lag nicht an der Qualität meines Textes). Damit die Arbeit nicht ganz umsonst war, hier das ganze Interview:

  • Was verbinden Menschen mit Langeweile? Ist Langeweile etwas Schlechtes bzw. haben wir sogar Angst davor?
    „Der Begriff der Langeweile wird in der Regel negativ gebraucht. Wir verbinden ihn mit einem Gefühl des Unausgefülltseins. ‚Mir ist langweilig‘ heißt: ich kann (gerade) nichts mit mir und meiner Zeit anfangen. Wir leben in einer Zeit, in der die ‚lange Weile‘ eine zunehmend negative Bedeutung erfährt. Alles muß schnell gehen, ständig und in immer schnellerer Abfolge sollen oder müssen wir Informationen abrufen und verarbeiten. Gerade die Digitalisierung trägt dazu bei. Wer eine Email nicht innerhalb eines Tages bearbeitet, muß sich auf die Nachfrage einstellen, warum das denn so lange dauere. Überall piepen und blinken elektronische Geräte, überall sind wir erreichbar und rund um die Uhr können wir uns Filme oder Shows ansehen oder online Spiele spielen. Dadurch verlieren wir die Fähigkeit zur ‚langen Weile‘. Der in Berlin lehrende Philosoph Byung Chul Han verbindet damit die Begabung, sich einer Sache lang und ausdauernd zu widmen. Er nennt dies eine ‚tiefe, kontemplative Aufmerksamkeit‘. Die digitale Medienwelt dagegen hält uns zu einer flachen Aufmerksamkeit an. Wir brauchen dann immer neue Anreize, eine immer schnellere Abfolge von Informationen oder Unterhaltungsangeboten, um bei der Sache zu bleiben. Wer mit sich selbst etwas anzufangen weiß, wer für eine Sache brennt oder den berühmten ‚Sinn‘ für sich entdeckt hat, dem wird nicht langweilig. Oder, um Pippi Langstrumpf zu zitieren: ‚… und dann muß man ja auch noch Zeit haben, einfach nur dazusitzen und vor sich hinzuschauen.'“
  • Wieso könne wir uns nicht einmal in Ruhe, ohne Tätigkeit und Stress langweilen?
    „Aus den oben genannten Gründen. Untätigkeit gilt in einer Leistungs- und Konsumgesellschaft als sinnlos, außer man läßt sich gegen Geld in einem Wellnesshotel verwöhnen oder verbringt seine Zeit (auch gegen Geld) in einem Freizeitpark. Dabei ist gerade die untätig verbrachte Zeit, jenseits von Smartphone und Medienkonsum, für die Regeneration und die Gesundheit von großer Bedeutung. Das aber ist ein Verhalten, das nicht gefördert wird. Es müßte in der Schule eigentlich nicht nur Computerkurse geben, sondern auch solche für Entspannung und das was man ‚kontemplative Aufmerksamkeit‘ nennt.“
  • Kann Langeweile etwas Gutes für uns bedeuten?
    „Mehr noch, meiner Meinung nach ist sie notwendig. Allerdings mehr die „lange Weile“, wie ich sie oben beschrieben habe. Ein anderer Philosoph, Peter Sloderdijk, hat sinngemäß über ‚Bildung‘ einmal folgendes gesagt: es sei die Fähigkeit, es mit sich selbst auszuhalten. Das hat nichts damit zu tun, wieviele gescheite Bücher man gelesen hat oder ob man den Satz des Pythagoras auswendig hersagen kann. Vielmehr ist es ein innerer Reichtum, der mit dem zu tun hat, was man selbst, ganz persönlich, als ‚Sinn‘ erlebt. Wer dies nicht hat, wird unruhig, wenn Smartphone oder Internet nicht zur Verfügung stehen oder er im Urlaub in einer Gegend landet, in der es absolut still ist. Die ‚lange Weile‘ ist prinzipiell also eine Chance zur persönlichen Entwicklung.“

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