
Als Karl Valentin sagte, Kunst sei schön, mache aber viel Arbeit, muß er an die Landschaftsfotografen gedacht haben. Landläufig gibt es ja die Auffassung, dass der Landschaftsfotograf halt seine Kamera dabei hat, wenn er unterwegs ist, und wenn er was Schönes sieht, nimmt er es auf. Weit gefehlt.
Die Realität sieht meist so aus, wie es sich bei mir in den letzten beiden Tagen abgespielt hat. Bei einem Lauf durch die Landschaft von meinem Ferienhäuschen aus (ohne Kamera) entdeckte ich ein Seitental, durch das ein Bach läuft. Sehr gut, dachte ich, denn „Bachstücke“ („Brookscapes“) sind eine meiner offenen Serien. Schneelandschaften mit Bach sind reizvoll, vorausgesetzt man hat eine erhöhte Perspektive. Oben an einem Waldrand entdecke ich einen Hochsitz und nehme mir vor, am nächsten Tag mit der Kamera wiederzukommen.
Gesagt, getan. Am folgenden Tag ziehe ich los. Da ich keine Lust auf viel Gepäck habe, nehme ich nur ein Objektiv mit (ein 50mm) und verzichte auf das Stativ. Ich gehe zu besagtem Hochsitz und steige hinauf. Gar nicht so einfach, stelle ich fest. Die Leiterstufen sind glitschig, der Stand ist sehr einfach zusammengezimmert, das Holz wurde nicht gepflegt. Ich hatte mir ausgerechnet, mich oben hinzustellen, um eine ausreichende Höhe der Perspektive zu bekommen. Als ich das versuche, kippt der Untergrund ein wenig und ich stelle fest, daß die Sitzfläche (die ich als Stehfläche nutzen wollte), morsch ist. Mir wird es ein wenig mulmig, ich entschließe mich aber, einige Aufnahmen im Sitzen zu machen. Die Perspektive ist dadurch etwas schlechter, zudem fehlt mir die Möglichkeit, den Bildausschnitt mit Hilfe von Stativ und Stativkopf exakt einzustellen. Und das Licht ist auch nicht gut.
Als ich mir die Ergebnisse am Rechner anschaue, bin ich leidlich enttäuscht. Es gibt Fotografen, die auch eine dreißigstel Sekunde Verschlußzeit aus der Hand wackelfrei hinbekommen – ich gehöre nicht dazu. Zudem bestraft der hochauflösende Sensor der Kamera jede noch so kleine Ungenauigkeit.
Ich studiere den Wetterbericht und stelle zu meiner Freude fest, daß am folgenden Tag, heute, sonniges Wetter gemeldet ist. Da ich noch eine weitere erhöhte Stelle am Bach ausfindig gemacht hatte, nehme ich mir vor, heute dorthin zu gehen. Mit Stativ!
Mittags bin ich bei meinem Vermieter, um das Häuschen zu bezahlen, da ich morgen abfahre. Wir unterhalten uns, die Sonne lacht, er redet und redet, die Sonne lacht immer noch, und schließlich breche ich auf. Was ich nicht bedacht hatte: der umliegende Wald des Tales läßt zu dem Zeitpunkt, an dem ich vor Ort bin, keine Sonne mehr einfallen. Gut, ich werde versuchen, es durch Blendenwahl und Blendenkorrektur an der Kamera auszugleichen. Ganz gebe ich noch nicht auf und warte, ob doch noch ein seitlicher Lichteinfall geschieht. Nein, es kommt kein direktes Licht mehr. Also muß es so gehen. Ich justiere die Kamera und stelle den Ausschnitt ein. Ich möchte den Bachlauf in der ganzen Breite, das geht mit einer Aufnahme nicht. Also werde ich zwei Varianten umsetzen: einmal mit Schwenken des Stativkopfes, die zweite mit drei verschiedenen Kamerapositionen, die alle auf der gleichen Höhenlinie sein müssen. Phi mal Daumen geht das und aus Positionen von mehr als fünfzig Metern Abstand zum Objekt muß das nicht auf den Zentimeter genau stimmen. Es ist kalt, die Hände sind eisig. Ich mache 3, 4 vier Aufnahmedurchgänge mit verschiedenen Blenden und Blendenkorrekturwerten. Denke mir, ein Einstellschlitten auf dem Stativkopf wäre sehr praktisch. Aber der ist leider noch nicht bestellt.
Als ich da stehe, denke ich: welch schöne Beschäftigung. Ich habe eine wunderbare Stelle entdeckt. Es ist still. Kein Mensch weit und breit. Nur ich und der Bach (und die Kälte). Ich gehe gerne immer wieder an die gleichen Stellen und mache Aufnahmen. Der Birigoyo, ein Berg auf La Palma, gehört dazu. Immer wieder gehe ich auf den Berg, fluche über das Gewicht der Ausrüstung, denn der Berg ist hoch und der Anstieg steil. Und manchmal steht man oben im Nebel und mit Fotografieren ist es nichts.
Auch bei diesem Tal mit seinem Bach – dem „Widdumbach“ – denke ich: ich möchte gerne wiederkommen. Nächstes Jahr vielleicht, und dann weiß ich mehr über die Lichtverhältnisse und die Zeit, zu der ich vor Ort sein sollte.
Die Durchsicht der Aufnahmen am Rechner stimmt mich zufrieden. Damit läßt sich was machen. Ein wenig nachträgliche Belichtungskorrektur, ein wenig Retusche und aus drei zusammenmontierten Aufnahmen kann ein langgezogener Bachlauf im Schnee werden, der sich an einer Galeriewand sehen lassen kann.
Leider gibt die Arbeitskopie, die oben zu sehen ist, nicht viel her. Denn die Dateigröße eines Fotos, das eingebunden werden kann, ist sehr begrenzt. Aber es ist besser als zu sagen: „Wie Sie sehen, sehn Se nix“. Also, „in echt“ siehts besser aus als da oben. (Anm.: meine Eitelkeit hat mich ein wenig später dazu verleitet, die mE doch leidlich unansehnliche Arbeitskopie herauszunehmen, und dafür EITERBACH von 2011 einzustellen).
Der englische Landschaftsfotograf Steve Gosling führte drei Prinzipien der Landschaftsfotografie an: Planning, Patience, Persistence – Planung, Geduld, Beharrlichkeit. Detlef Orlopp sprach gerne von Landschaftsportraits, denn sobald die Fotografie sich vom rein Abbildlichen löst, wird sie subjektiv. Sie dokumentiert nicht mehr, vielmehr portraitiert sie. Wie auch immer man diese Form der Kunst nennt: sie erzieht denjenigen, der sie ausübt. Er braucht Voraussicht, eine gezügelte Intuition, Geduld und Beharrlichkeit.