Natürlich ist die Welt nicht so wie ich sie mir wünsche. Und ich bin bereit, mich seelisch darauf einzurichten. Ehrlich!

Heute Nachmittag jedoch, ich schaue aus dem Küchenfenster meiner Praxis auf das gegenüberliegende Haus, fällt mir das Einverstandensein bzw. das Mich-seelisch-darauf einrichten wieder einmal schwer.

Ja, ich weiß: es ist üblich, dass die Osterhasen spätestens ab Anfang Februar in den Regalen der Supermärkte auf mich warten. Ich weiß, daß die Nikoläuse bereits im Oktober dort stehen. Und ich weiß auch, daß es es mir nicht gefällt, weil alles seine Zeit haben sollte. Und wenn es zur Unzeit auftaucht, uns die Rhythmen verlorengehen, der Sinn für den rechten Zeitpunkt, das Besondere und das Heilige.

Vorweihnachtszeit. Das sollte sein: Stiller werden, sich auf die Seele besinnen, zur Ruhe kommen, zu sich und in den Kontakt mit meinen Nächsten. Vorweihnachtszeit, das ist der Advent. Advent ist Zeit der Ankunft. Ankunft wovon? Von den Geschenken unterm Christbaum? Von zuviel Essen oder dem Warten am überfüllten Flughafen auf das Flugzeug ins Ferienparadies? So war‘s nicht gemeint, oder? Advent, das ist Ankunft des Lichts. Schon in vorchristlichen Zeiten war es die Zeit der Stille, des Ruhens von äußerer Aktivität, des Innehaltens.

Und was sehe ich, am 19. November, wenn ich aus dem Küchenfenster meiner Praxis schaue? Ich sehe nervös blinkende Lichtergirlanden, die sich uncharmant um ein Balkongeländer ranken! Ein Rhythmus, der schneller ist als ein durchschnittlicher Aktivitätspuls, außer man ist kurz vor dem Kollaps. Ich kann mir denken, dass die Anbringer des Lichtschmucks voller guter Absichten waren. So wie all die anderen Zeitgenossen, die mit ihrer überproportionierten Lichtshow ihren Vorgarten zum Flutlichtareal umgestalten. Welcher Seelenengel soll sich da bitte noch hintrauen? Ankunft des Lichts, das war doch wohl anders gemeint – oder? Ankunft des Lichts, das braucht einen Landeplatz, der nicht vollgestellt und ausgeleuchtet ist!

Ich hoffe sehr, dass die Seelen der Menschen harmonischer und stiller sind als Frequenz und Stärke der von ihnen angebrachten Lichter.

 

Nachtrag (19.12.2018): Sie haben mich gehört! Oder gelesen! Jedenfalls hat dieses manische Geblinke aufgehört. Schon vor Tagen. Am wahrscheinlichsten aber ist, daß es sie selber aufgeregt hat. Ich stelle mir vor, daß dort drüben ein Paar wohnt und daß die Frau eines Abends sagt „du, das macht mich ganz nervös, kann man das nicht langsam schalten“. Und der Mann sagt „Wenn du meinst“. Und wie Männer so sind, dreht er am Relais und nun gibt es nur noch Dauerlicht. Ich habe es gewußt, die Frauen machen die Welt besser!

 

Fotografie: TRION © Lothar Eder 2009

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