Auf dem Wohnzimmertisch sehe ich in der Tagespost ein Schreiben, das „An die Schuh- und Modefreunde“ unter meiner Adresse gerichtet ist.

Gleich entsteht in mir die Frage, ob ich wohl damit gemeint sein könnte. Aber was ist ein „Schuh- und Modefreund“? Ja, ich bin insofern ein Freund von Schuhen, als ich mich mit ihnen, vor allem auf der Straße, wesentlich wohler fühle als barfuß zu laufen. Reicht jedoch diese Selbstkategorisierung, um mich berechtigterweise einen „Schuhfreund“ nennen zu dürfen? – Hier regt sich ein erster innerer Zweifel. Ein Modefreund bin ich eher nicht, weil mir die zeitgenössischen Schnitte nicht behagen. Kleidung muss meiner Meinung nach nicht nur gut aussehen, sondern sich auch gut anfühlen, und das tut das, was die Herrenmode aktuell vorschlägt, in meinem Fall nicht.

Dennoch interessiert mich der Inhalt des Umschlags und ich öffne ihn. „Lieber Schuh- und Modefreund“ steht da, und es folgt ein Lob des nun sich zeigenden Frühjahrs, verbunden mit dem Hinweis, dass die Jahreszeit eine  „Vielfalt neuer, toller Schuh- und Modetrends“ mit sich brächte. Und ich erhielte beiliegend einige exklusive „Shopping-Gutscheine“, die mir im Rahmen eines „VIP-Shoppings“ ein Ausschöpfen der aktuellen Trends erleichtern würden.

Dahinter steckt ein Unternehmen, das sich „H&D in style, shoes and more“ nennt. Als erstes taucht in mir die Frage auf, was denn mit „more“ gemeint sein könnte. Was ist dieses „Mehr“, das ja schwer in Mode gekommen ist? Friseure nennen sich neuerdings ja auch „Hair and more“. Ich warte auf den Tag, an dem sich Schreiner „Tables and more“ oder Metzger „Meat and more“ nennen.

Jetzt wird mir klar, dass das Unternehmen einen Spagat zwischen Tradition und Moderne herstellen will. Es stammt aus Pirmasens, einem Ort mit langer Tradition in der Schuhherstellung. Ich glaube mich zu erinnern, dass die Fabrikation dort zusammengebrochen ist. Nun sucht wohl ein Unternehmen, das die Krise womöglich knapp überlebt hat, nach neuen Verkaufs-, Verzeihung: Marketingstrategien. Und der Wust an Anglizismen scheint der Marketingabteilung geeignet, sich der neuen Zeit anzupassen und zu -dienen.

Die Anrede „Lieber Schuh- und Modefreund“ dagegen könnte ebenso aus den 60er Jahren stammen, als es noch kein Gendersprech gab und auch die Damen sich damit angesprochen fühlten.

Nun erfasst mich Mitgefühl mit diesem nach meinem Empfinden ein wenig unbeholfenen Versuch, Kunden zu werben und ich verspüre den Ansatz einer Lust, in einem der Geschäfte in meiner Nähe, die mir in dem Brief genannt werden, vorstellig zu werden …

 

Titelfoto: Pixabay

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