Wieder einmal klingelt das Praxistelefon, eine Nummer wird angezeigt, die irgendwo aus Bayern zu stammen scheint, wieder bin ich neugierig, nehme ab und sage meinen Namen.
Da sei die Firma Conrad, sagt eine junge weibliche Stimme, und sie habe festgestellt, dass ich schon länger nichts mehr bestellt hätte und sie wollte mal fragen, woran das läge und ob alles in Ordnung sei.
Nun, im Psychofachchinesisch nennt man das Pseudowechselseitigkeit oder Pseudomutualität. Damit ist folgendes gemeint: eine „normale“ Alltagskommunikation beinhaltet unausgesprochen eine Wechselseitigkeit, d.h. die Beteiligten empfinden die Kommunikation als stimmig. Diese Wechselseitigkeit besteht z.B. darin, dass das Gegenüber meine Äußerungen aufnimmt und widerspiegelt (also angemessene Resonanz zeigt). Oder es leitet eine Kommunikation ein mit Worten, die zeigen, dass eine bestimmte Art von Beziehung besteht und diese sich in den verwendeten Worten widerspiegelt. Die Dame, die vorgibt, von Conrad zu sein (was ich für eine Lüge halte, sie ist in einem Call Center beschäftigt und tut nur so, als sei sie von dieser Firma), mimt Empathie und verwendet Worte, die ein persönliches Verhältnis vortäuschen. Zu fragen „ob alles in Ordnung sei“ ist eine Frage unter Bekannten, Nachbarn und Familienmitgliedern. Sie paßt auch zum Bäcker um die Ecke, wenn die Verkäuferin fragt, ob denn die Brezn vom letzten Mal „recht“ gewesen seien. Für eine völlig unbekannte Dame, die zudem mit der Firma Conrad ganz offensichtlich nichts zu tun hat, sondern das nur vortäuscht, ist das ein unangemessenes Verhalten. Es soll aber eine Vertrautheit suggerieren, ein Interesse an der persönlichen Befindlichkeit, welche den Angerufenen für die Firma Conrad einnimmt. So läuft eben der Hase. Ein Gegenüber, hinter dem kommerzielle Interessen stecken, mimt persönliches Interesse und will damit Kaufimpulse wecken.
Ja, sage ich, wenn ich schon länger nichts bestellt habe, bedeutet das wohl, dass ich nichts gebraucht habe. Ahja, meint die Dame, gut, dann wisse sie ja Bescheid. Ich wüßte aber garnicht, wann ich das letzte Mal was bestellt habe und was das war. Aber Sie müßten das doch eigentlich wissen, sage ich. Nein, sagt die junge Frau, das wisse Sie leider nicht (das ist ungefähr so, wie wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, aber danach sagt, er kenne mich nicht). Aha, mache ich, Sie sitzen also in einem Call Center und haben den Auftrag, Kunden der Firma Conrad anzurufen, um sie zu Käufen zu animieren. Dann höre ich erstmal nichts mehr. Schweigen. Sind Sie noch da, frage ich. Ja, sagt die Dame, ja, genau. Aber, sage ich, was wirklich witzig ist (ungelogen!), ist, daß ich mir in den letzten Tagen eine Lampe auf der Internetseite der Firma Conrad herausgesucht habe und diese bestellen wollte. Die junge Frau ist erleichtert. Ja dann, Herr Eder, sagt sie, könnte ich einen Gutschein für Sie einstellen, den sie bei der nächsten Bestellung nutzen können. Ja, das ist ja prima, sage ich und unser Gespräch endet.
Der Gutschein trifft Minuten später wirklich in meinem Elektropostkonto ein. Allerdings gilt er nur für Bestellungen ab 100 Euro. Meine Lampe kostet weniger als die Hälfte. Der nächste Trick: man will den Gutschein haben, den kriegt man aber nur, wenn man mehr bestellt, als man braucht. Mein Greifreflex wird sogleich aktiv, aber ich zügle mich. Aus Protest beschließe ich, die Lampe frühestens morgen zu bestellen. Oder übermorgen.