Älterwerden in einer traditionsfeindlichen Welt gilt es im wesentlichen aus eigenen Kräften zu bestehen
Botho Strauss, Herkunft
Botho Strauss, 1944 geboren, ist ein zeitgenössischer deutscher Schriftsteller, Dramatiker und Essayist. In den 1970er Jahren war er Dramaturg an der Berliner Schaubühne, also in jener Zeit, in welcher Peter Stein seine nachhaltig gerühmte Intendanz innehatte. Die beiden machten die Schaubühne, neben Zadeks Bochumer Ägide, zum Zentrum des (west)deutschen Theatergeschehens.
In den 1980er Jahren war Strauss der meistgespielte Autor an deutschen Bühnen. Sein wohl bekanntestes Stück ist „Groß und klein“, das auch verfilmt wurde. Später verfasste er vornehmlich Prosa. Ähnlich wie bei Peter Handke findet sich für diese Texte meist kein passender Gattungsname. Sie bewegen sich im Feld von Novellen, Erzählungen und erzählerisch-episodischen Gedankengängen, denen stets eine philosphische Tiefe zu eigen ist.
Ähnlich wie auch Handke hebt Strauss sich vom Mainstream der zeitgenössischen Schriftstellerei ab. Und wie dieser erntet er mit seinen politisch-philosophischen Betrachtungen reichlich Mißfallen u.a. von Seiten der zeitgeistigen Feuilletons.
Herkunft ist ein Buch, in dem Strauss über seinen Vater schreibt. Es ist ein Buch der Liebe und Achtung des Sohnes für seinen Vater. Unwillkürlich denken wir hier an Kafkas berühmten Brief an den Vater. Auch in diesem Buch verwebt Botho Strauss in seiner einzigartigen Weise Erinnerungen und Episodisches mit zeitgeistigen und philosophischen Betrachtungen. Wir finden darin Sätze, die unter die Haut gehen, unabhängig davon, ob sie in uns Zustimmung oder Ablehnung bewirken. Aber sie sprechen tiefe Wahrheiten eines Menschen, der sein Leben der Sprache und der poetischen Betrachtung gewidmet hat.
Wir finden in Herkunft so wundervoll zutreffende Passagen wie diese:
Ich wundere mich, wie diese frühe Prägung, da ich selbst in das „Alter des Vaters“ eintrat, langsam, aber unerbittlich ihre Wirksamkeit entfaltet. Die Strenge des Vaters, sogar einzelne seiner Ansichten steigen wie eigner Erfahrungsbestand ins Bewußtsein. Man altert, trotz der sozialen Bedeutungslosigkeit von Tradition, immer noch geradewegs in das hinein, was man einst als rettungslos veraltet empfand. Vielleicht sucht man auch nur die letzten Spuren einer Überlieferung für sich zu sichern, und dann tut sich unter dem klapprigen, zugigen Verschlag einer deutschen Nachkriegsherkunft ein festerer Boden auf als man ihn bei den späteren geistigen Landnahmen je unter die Füße bekam.
Auch hier bürstet Strauss kräftig gegen den Zeitgeist, indem er das tiefe Eingebundensein eines jeden in seine Herkunft, das sich in der Seele regt und ihr Sicherheit gibt, beschreibt. Hier wird eine Verbindung deutlich zu Jean Liedloffs Buch Auf der Suche nach dem verlorenen Glück, in welchem die Anthropologin in ihrem sogenannten Kontinuum-Konzept genau diese Einbindung des einzelnen Menschen in die Traditionslinie seiner Art, seines Volkes und seiner Familie zum Thema macht.
Den Einwänden der Zeitgenossen zu diesen Ansichten begegnet in Herkunft so mancher Satz. Zum Beispiel dieser hier:
Heute bildet sich jeder ein, über dem Milieu zu schweben, dem er entstammt.