
Es spricht grundsätzlich für die Qualität eines Buches, wenn es auch nach der ersten Lektüre einen langen Nachhall erzeugt. Bei mir ist dies im Falle von „Die Wand“ von Marlen Haushofer so. Das Buch erzeugt Stimmungen und innere Bilder, die lange anhalten.
Ich habe begonnen, das Buch passagenweise meiner Partnerin vorzulesen. Das gefällt zum einen ihr. Zum anderen nehme ich den Text gewissermaßen in den Mund und sein Geschmack wird dadurch intensiver. Zudem erzeugt das Lesen eine andere, wahrscheinlich natürlichere Rhythmisierung des Textes und er kann somit womöglich noch besser aufgenommen werden als durch stilles Lesen.
Auch mit dem Film habe ich mich nochmals beschäftigt, indem ich einige Kritiken gelesen habe. Natürlich kann man zu jedem Film kritische Aspekte anmerken. Einer lautete, der Film sei eine bloße Bebilderung des Buches. Pölsler sei zu eng am Text geblieben und habe keine eigene Auffassung des Textes entwickelt.
Nun, ich sehe den Film ganz anders. Er unterstreicht den Text, arbeitet ihn über die Bilder heraus ohne ihn in filmischen Effekten zu ertränken. Er tut etwas anderes, als man es vom modernen Regietheater leidlich gewohnt ist: nicht das Stück und seine Anlage stehen im Vordergrund, sondern die oft doch recht abstrusen Ideen des Regisseurs und Auffassungen von „Dekonstruktion“, mit denen schon Derrida zu seinen Lebzeiten hart ins Gericht ging.
Meine Vermutung ist, dass viele Betrachter unter den Kritikern mit derart langen Einstellungen nicht mehr zurechtkommen. Sie sind Elegien nicht gewohnt, weil darin zu wenig Effekthaschereien passieren. Und sie haben ein Problem mit „schönen“ Bildern. Da muß etwas Gebrochenes her, etwas Antiidyllisches, um dem zeitgeistigen Kunstbegriff zu entsprechen. Doch hat der Film nichts Kitschiges oder Klischeehaftes. Er gleitet niemals ab in zuckrige Romantik, dafür sorgt allein schon der unterlegte gesprochene Text von Martina Gedeck. Somit ist nicht nur das Buch, sondern auch der Film gegen den Zeitgeist gemacht. Ich finde das gut und richtig.
In den Buchkritiken war auch einiges Interessantes zu lesen. Z.B. dass das Buch zumindest zu Zeiten zur Frauen- oder zur ökologischen Literatur gezählt worden sei. Nun, ich finde, gute Bücher können nicht von dieser oder jener „Bewegung“ in Anspruch genommen werden. Gute Bücher sind Menschenbücher und sie bringen etwas bei ihren Lesern in Bewegung.