Tiefschwarz ist die dominante Farbe des Maikalenderblatts von Hans Neidhardt. Schwarz und weiß ist die Schrift. Der rote Faden, einmal mehr von oben nach unten (oder umgekehrt) verlaufend, ist das einzige farbige Element des Blatts.
WANDEL ist das Wort, das uns aus dem Schwarz entgegenkommt. Es ist ebenfalls in Schwarz geschrieben, jeder Buchstabe für sich auf einem weißen Hintergrund. Fürwahr, diese Zeit fühlt sich an wie eine Zeit des Wandels.
Wir sind zugleich sterbebegleiter für eine Kultur, deren Zeit abgelaufen ist und Hebammen für eine neue, langfristig lebenserhaltende Welt. Beides findet zur gleichen Zeit statt. Wir sind mittendrin und können einfluss nehmen, wie sich dieser Übergang vollzieht. Lasst uns gemeinsam dem Kraft geben.

Das Zitat stammt von Joanna Macy, bekannt als Umweltaktivistin, Tiefenökologin und buddhistische Lehrerin.
Beim Lesen des Zitats merke ich in mir eine merkwürdige Mischung aus Zustimmung und Skepsis. Ja, sagt es in mir, ich bewege mich in einer Zeit heftigen Wandels und viele sehen es ähnlich wie ich. Ja, sagt es in mir, es wird Zeit, dass sich etwas ändert. Im Umgang mit uns selbst, mit den anderen, im Umgang mit der Natur. Hier schließt sich der Kreis, denn wir sind Natur. Ja, sagt es in mir, es wird Zeit, dass das bloße Leistungsprinzip, das Konsumieren als Kompensation unseres Mangels und unseres Leids und die Ausbeutung von Mutter Erde ein Ende nimmt.
Und doch kommt eine Skepsis auf. Ich spüre ihr nach. Und bleibe hängen bei dem Wort wir. Wer ist dieses Wir, das als Sterbebegleiter und als Hebamme in einem genannt wird? Dieses Wir ist die Quelle meiner Skepsis. Warum?
Das Wir vereinnahmt mich. Es fragt nicht nach meinen Möglichkeiten. Bin ich Sterbebegleiter der alten Kultur? Nein. Das wäre eine Selbstüberschätzung. Bin ich Hebamme für eine neue, lebenserhaltende Welt? Nein. Auch das wäre Selbstüberschätzung. Ich kann kleine Beiträge leisten. Ich kann die Erde pflegen, kann einfühlender mit mir und anderen umgehen. Ich kann entdecken, dass bewußtes Atmen und das Lauschen des Windes in den Blättern wertvoller sind als mich im Internet aufzuhalten oder eine Serie zu schauen. Warum tue ich mir so schwer, mich einfach in dieses Wir einzureihen? Eine Antwort, die auftaucht, lautet: weil ich nicht im Gleichschritt unterwegs sein will, auch nicht für die gute Sache. Und ich finde eine weitere Überzeugung in mir. Wenn viele, am besten ganz viele Menschen zu sich selbst finden und damit zur Natur, zur Mutter Erde, dann ist doch das Wesentliche getan. Aus all diesen individuellen Wandlungen wird sich ein Feld ergeben, das einen großen Wandel zum Guten bewirken kann.
Letztlich, so scheint es mir, schimmert in diesem Zitat, womöglich auch in der Tiefenökologie, eine tiefe Paradiessehnsucht durch. Es ist die Sehnsucht nach dem, was wir verloren haben. Was aber ist das Paradies? Das Wort bedeutet Garten, ein eingefriedeter Garten der Seligen. Und es meint den Urzustand der Erde, wie der Mensch ihn vorfand zu Beginn seiner Geschichte. In dem alles Leben nebeneinander existieren konnte und für alle gesorgt war. Das Paradies aber kennt keine globalen Bewegungen, keine CO2-Steuer und kein Strafgesetzbuch. Es gibt Lebensraum für alle Wesen, auch für diese merkwürdige Spezies Homo sapiens sapiens.
Wo aber finden wir dieses Paradies? Manchmal vielleicht in Momenten der Freude. Im Wald. Im Gesang einer Amsel. Im Garten, wenn die Hände eintauchen in die Erde. Am wahrscheinlichsten finden wir es in uns selbst. Wenn wir uns verbinden mit anderen. Mit der Natur. Und mit uns selbst. Wenn Frieden sich in unsere Herzen senkt.
Kalligrafie: Hans Neidhardt
Worte: Lothar Eder
Lieber Lothar, ein gleichschaltendes, ideologietriefendes, vereinnahmendes „Wir“ würde mich ja auch sofort in die Flucht schlagen. Für mich hat das „Wir“ in diesem Zitat eine andere Bedeutung: Wann immer ich mich zu Recht winzig fühle angesichts der großen Dynamiken, tut es gut, mich unsichtbar verbunden zu fühlen mit den Millionen anderen Winzlingen, die ähnlich empfinden. du schreibst: m“Wenn wir uns verbinden mit anderen. Mit der Natur. Und mit uns selbst. Wenn Frieden sich in unsere Herzen senkt.“ Genau so.
Herzlich
Hans
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Lieber Hans, danke für Deinen Kommentar! Es ist die alte innere Ambivalenz zwischen individueller Autonomie und dem Bedürfnis nach (Ein)Bindung, die mir gekommen ist im Schreiben meines Textes zu Deinem schönen Kalenderblatt. Und es sind dieses Mal ja ganz subjektive Assoziationen, die ich hier öffentlich gemacht habe.
Da ist einerseits der Wunsch nach dem Wir, in dem ich mich mit Dir sehr einig fühle, und so mag es auch Joanna Macy gefühlt haben beim Schreiben des Buches, aus dem das Zitat stammt. Mögen es doch möglichst viele sein, deren Herz ähnlich schlägt wie meines und die sich eine Überwindung der Trennung, v.a. von Mutter Erde, herbeisehnen!
Und andererseits begegnet mir gerade auch in den Bewegungen, die sich „ökologisch“ nennen, ein Wir, dem oft ein müssen folgt. Gerade in diesen Tagen nimmt im politisch-medialen Raum der Druck zu, sich zu einem Wir zu bekennen, das individuelle Abweichungen nur noch unter sozialen Sanktionen zulässt.
All das hat mich wohl in diesen Momenten, als ich den Text schrieb, über dieses Wir stolpern lassen. Und sicherlich ist dieses Wir von Joanna Macy anders gemeint als meine Alarmanlage es gemeldet hat. Nämlich im Sinne einer tröstlichen unsichtbaren Verbindung mit vielen anderen Menschen,
Damit grüße ich Dich herzlich, Lothar
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